_dsc0476_2

2018 Martina Sauter


Astrid Legge

Die 1974 in Konstanz geborene Martina Sauter gehört einer jüngeren Generation von Künstlerinnen und Künstlern an, die sich mit der Grenzerweiterung des Mediums Fotografie beschäftigt. Seit ihrem Abschluss an der Kunstakademie Düsseldorf als Meisterschülerin von Thomas Ruff, operiert sie im Spannungsfeld zwischen Fotografie, Film und Realität. Dabei spielt sie vor allem mit dem narrativen Potenzial des Films und nutzt die unterschiedlichen Genres als inhaltlichen und formalen Ausgangspunkt.

Kennzeichnend für viele ihrer Werke ist die bildliche und konzeptuelle Verflechtung von Film und Fotografie. Standbilder von Filmklassikern, meist vom Fernseher abfotografiert, werden - analog zur filmischen Technik des Schnittes - mit Fotos von selbstinszenierten Settings kombiniert. Dies sind in der Regel vorgefundene oder gebaute Raumarchitekturen, die Sauter kulissenhaft aus Holzwänden, dekorativen Tapeten, Vorhängen, Teppichen und Türen im heimischen Atelier inszeniert. In jüngeren Werken ergänzt sie die Film-Stills mit realen Briefen, Zeitungen und Dokumenten, die durch kaum wahrnehmbare Einschnitte in den Fotoabzug montiert sind.

Foto, Film-Still und Realität verschmelzen zu spannungsgeladenen Hybriden und kompositorisch ausgetüftelte Tableaus, in denen nicht das kleinste Detail dem Zufall überlassen ist. Doch nicht nur die Verschränkung unterschiedlicher Medien, sondern vor allem die Kombination von filmisch inszenierter und kinematisch inspirierter Fotografie, bildet die konzeptuelle Basis ihrer künstlerischen Arbeit. Dabei gelingt es ihr, filmische Momente mit genuin fotografischen Mitteln zu verdichten.

Was sich auf den ersten Blick in ihren Bildern als täuschend echter und einheitlicher Illusionsraum offenbart, entpuppt sich erst bei genauerem Hinschauen als hybrides Konstrukt. Die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Bildebenen sind subtil, denn Martina Sauter versteht es perfekt, die Schnittkanten gegeneinander zu setzen.

Häufig betont sie die Zweiteiligkeit der Arbeiten, indem sie beide Bildtafeln versetzt montiert. Der reliefartige Übergang öffnet sich als realer Spalt oder Versprung in den Raum hinein und verleiht den Arbeiten Tiefe und eine starke räumliche Präsenz. Er verläuft entlang der zwei unterschiedlichen Bildvorlagen - für den Betrachter erkennbar an der unterschiedlichen Körnung und Bildschärfe. Während die Bildästhetik des Filmstills grob gerastert und verschwommen ist, kontrastieren die eigenen Fotografien mit einer augenfälligen Bildschärfe. Hinzu kommen feine perspektivische Unstimmigkeiten und rätselhafte Blickachsen, die durch die Montage zweier unterschiedlicher Bildquellen entstehen. Einmal erkannt, wird der Bruch zum Ausgangspunkt einer vielschichtigen Reflexion über filmische Strategien.

Den widersprüchlichen Bildräumen wohnen eine spannungsgeladene Atmosphäre und ein hohes Erzählpotential inne. Bekannte Gesichter wie Grace Kelley, James Stewart oder Kim Novak sorgen für den nötigen Déjà-vu-Effekt und geben Aufschluss über die vielen Quellen der Künstlerin, die sich von Filmen, Thrillern und Kult-Serien bekannter Star-Regisseure wie Alfred Hitchcock, Robert Altman und David Lynch (bis Wong Kar Wai) inspirieren lässt. Auch Filme in der Tradition des „Film noir“ der 1940er und 1950er Jahre sind ein von ihr geliebtes Genre. Sie alle zeichnen sich dadurch aus, dass sie keinen vorhersehbaren Erzählstrang haben, sondern durch Rück- oder Vorausblenden, ungewöhnliche Kameraeinstellungen, abrupte Schnitte, Szenewechsel und eine dramaturgische Lichtregie mit der konventionellen Erzählweise des Films brechen.

Auch in den Werken Martina Sauters ist die Erzeugung von Spannung ein wesentliches Moment der künstlerischen Strategie. Ihr Experimentieren mit verschiedenen visuellen Formen des ‚Suspense‘ - Kameraeinstellung, Beleuchtung und Schnitt- stellt im Wesentlichen die Frage nach der Setzung bzw. dem Verhältnis von Raum und Figur und danach, inwieweit die Inszenierung des Raumes die Vorstellung der nur flüchtig anwesenden Person ergänzen oder sogar mitbestimmen kann.

Häufig beschneidet sie das Blickfeld des Betrachters, bildet markante Blickpositionen und ungewöhnliche Perspektiven. Sie zeigt Vorhänge und halbgeöffnete Türen, die den Betrachter zurückwerfen und irritieren. Hier und da tauchen im Türspalt bekannte Protagonisten auf, die das Kopfkino in Gang setzen und gleichzeitig die raffinierten Kniffe der Blick-Dramaturgie transparent werden lassen. Dann wieder wird der Blick aus dem Bild-Vordergrund in verwinkelte Nischen und Flure mit perspektivischen Durchblicken in weitere Räume geleitet. Die verschachtelten Raumgefüge verunsichern, wie in ‚Durchblick 2‘, einer überlebensgroßen Fotoarbeit, die in der Alten Nationalgalerie in Berlin entstand. Martina Sauter erforschte den realen Drehort aus Hitchcocks Film „Torn Curtain“ aus dem Jahre 1966, in dem sich eine spannende Verfolgungsjagd im Inneren des Gebäudes abspielt. Da die Alte Nationalgalerie in der sozialistischen DDR der 1960er Jahre für das amerikanische Filmteam nicht zugänglich war, wurde der Ort kurzerhand im Filmstudio nachgebaut. Die bizarren und ausgetüftelten Raumperspektiven von ‚Durchblick 2‘ verwirren und faszinieren zugleich, doch stets lässt uns die Künstlerin im Unklaren über den Fortgang der Geschichte. Denn nicht die Ungewissheit intensiviert das „Suspense-Erlebnis“ sondern die unterschwellige Gewissheit, dass gleich etwas passieren wird. Und je nach Ausschnitt und Blickrichtung macht sie den Betrachter abwechselnd zum Voyeur, Täter oder Opfer. Damit öffnet Martina Sauter für die Fotografie gleichzeitig neue, offene und nichtlineare Erzählräume.

Die auratische Wirkung der Fotografien ist dem Spiel mit Fiktion und Wahrheit, An- und Abwesenheit, Verbergen und Enthüllen geschuldet sowie einem komplexen Geflecht aus Andeutungen. Die Arbeit ‚Zeitungen/Briefe‘ zeigt eine Ansammlung von Briefen und Zeitungen hinter einer halbgeöffneten Tür. Der Blick auf den anwachsenden Wust an Post spiegelt nicht nur den beständigen Fortgang alltäglicher Routineabläufe im Leben eines jeden, sondern weist gleichzeitig auf die An- und Abwesenheit einer Person hin. Ist der Bewohner nur auf Reisen oder ist etwas Besorgniserregendes passiert? Auch die Ansicht eines verführerisch blauschimmernden Swimming-Pools mit tropischer Pflanzenkulisse verheißt nur anfänglich Verlockung im erfrischenden Nass. Die seltsame Leere und Verlassenheit der Szenerie verstört und irritiert ebenso wie der Kontrast von unscharfer Wasseroberfläche und überscharfen Bananenstauden, welcher die scheinbare Bildeinheit bricht und beunruhigende Fragen aufwirft.

Martina Sauters Arbeiten gleichen einer Theaterkulisse, deren Akteure nicht nur auf, sondern auch vor und hinter der Bühne agieren. Das Stück, das gespielt wird, handelt von der Medienwelt und ihrem Verhältnis zur Realität. Es handelt von der Wirklichkeit in der Fiktion und der Fiktionalität in der Wirklichkeit und nicht zuletzt davon, die Grenzen zwischen Illusion und Wahrheit zu befragen.